Kulturgüterschutz bei Schadenereignissen

Die Erhaltung von identitätsstiftendem Kulturgut als Teil des kulturellen Erbes für zukünftige Generationen ist eine der zentralen Aufgaben unserer Gesellschaft. Gefährdungen, die deren Beschädigung, Zerstörung oder gar deren Verschwinden hervorrufen können, sind allgegenwärtig. Sie reichen von einfachen Ereignissen wie Havarien, Unfällen oder Brandereignissen bis hin zu ausserordentlichen Situationen wie Naturkatastrophen oder auch bewaffneten Konflikten. Vor diesem Hintergrund sind präventive und reaktive Massnahmen zum Schutz von Kulturgütern notwendig.

Gesetzliche Grundlagen

Der Kulturgüterschutz (KGS) ruht auf völkerrechtlicher Grundlage, die sich im Haager Abkommen von 1954 im Rahmen des Kriegsvölkerrechts äussert. Liechtenstein ratifizierte diese Konvention im Jahr 1960 und deren Nachtrag von 2004 im Jahr 2016. In der nationalen Gesetzgebung erging mit dem Gesetz über den Schutz, die Erhaltung und die Pflege von Kulturgütern (KGG) aus dem Jahr 2016 der Auftrag an die Denkmalpflege, Kulturgüter nicht nur bei «normalen», sondern auch bei «besonderen» und «ausserordentlichen» Lagen bestmöglich und in Zusammenwirken mit weiteren verantwortlichen Akteuren zu schützen. In dieselbe Kerbe schlägt die Kulturgüterschutzverordnung (KGSV) aus dem Jahr 2021, in der Näheres zum Schutz von Kulturgütern geregelt und präventive sowie reaktive Massnahmen vorgegeben werden. 

Rechtsgrundlagen für den Kulturgüterschutz | © Amt für Kultur Rechtsgrundlagen für den Kulturgüterschutz (Foto: Amt für Kultur)

Anforderung an den Kulturgüterschutz

Zahlreiche Schadenereignisse der letzten Jahre wie Erdbeben, Brandereignisse oder Überschwemmungen veranlassten die Kulturgutverantwortlichen weltweit ihre KGS-Strukturen nicht nur auf kriegsvölkerrechtlich relevante Szenarien auszurichten, sondern diese auch auf nichtmilitärische Bedrohungen hin auszuweiten. Organe wie Bevölkerungs- und Zivilschutz sowie die Blaulichtorganisationen wurden dadurch zu natürlichen Partnern der öffentlichen und privaten Kulturgutverantwortlichen.

In Liechtenstein erfordert die Übernahme dieser bewährten Vorgehensweise besondere Schritte. Anders als bei unseren Nachbarn verfügt das Land über keine etablierten Einsatzstrukturen, die diese Thematik aufnehmen und umsetzen können. Deshalb ist die Schaffung einer solchen in Form eines KGS-Systems notwendig, um im Bedarfsfall mit relevanten Institutionen effizient und effektiv zusammenwirken zu können. 

Einsatzkräfte bergen Kulturgüter | © Comando Carabinieri Tutela Patrimonio Culturale Einsatzkräfte bergen Kulturgüter (Foto: Comando Carabinieri Tutela Patrimonio Culturale)

Kulturgüterschutzstrukturen im Fürstentum Liechtenstein

Im Zentrum stehen die öffentlichen und privaten Eigentümerschaften der durch Inventare erfassten Kulturgüter von nationaler und internationaler Bedeutung und deren Verantwortlichkeit für den Schutz ihrer Objekte. Ihnen zur Seite steht der im Amt für Kultur angesiedelte Fachbereich KGS (FBKGS). Dieser bildet eine Schnittstelle zu den Organen des Bevölkerungsschutzes und den Blaulichtorganisationen. Um den KGS Liechtensteins für Massnahmen der Prävention und für operative Interventionen bei Schadenereignissen auszustatten, wird, unter Nutzung bestehender Strukturen und Schaffung neuer Synergien, auf Angebote im Infrastruktur- und Logistikbereich des Landes und der Gemeinden zurückgegriffen.

Kulturgüter sind Teil der Kulturgüterschutzstruktur | © Amt für Kultur Kulturgüter sind Teil der Kulturgüterschutzstruktur (Foto: Amt für Kultur)

Kulturgüterschutzverbund

Um in einem Ereignisfall rasch Hilfe für Kulturgüter zu ermöglichen, wird in Liechtenstein ein Kulturgüterschutzverbund (KGS-Verbund) betrieben. Mitglieder sind die öffentlich-rechtlichen und einzelne privatrechtliche Kulturgutinstitutionen, die ihre speziellen Fähigkeiten und Ressourcen zusammenschliessen. Im Bedarfsfall kann sich so jedes Mitglied eines breiten Unterstützungsangebots sicher sein. Um dieses rasch an den Ereignisort zu bringen, unterhält der KGS-Verbund eine eigene Einsatzstruktur und diverse Notfallkapazitäten. Fall- oder ereignisbezogen lässt sich dieses Spektrum auch durch externe Fach- und Hilfskräfte mittels Leistungsvereinbarungen erweitern. Es ist Ziel, im Verbundsrahmen unter Leitung des FBKGS jährliche Ausbildungskurse und zukünftig auch realitätsnahen Übungen abzuhalten.

Das Emblem des Kulturgüterschutzverbundes | © Amt für Kultur Emblem des Kulturgüterschutzverbundes (Foto: Amt für Kultur)

Notfallplanungen für Kulturgüter

Zu den wichtigsten präventiven Massnahmen zum Schutz von Kulturgut zählt die Erstellung von Notfallplänen. Die Feststellung von Gefährdungen, die für die einzelnen Kulturgüter relevant sind und die Reduktion der damit verbundenen Risiken sind die Grundlage, auf der Reaktionsmöglichkeiten vorbereitet werden. Dies betrifft bewegliche und unbewegliche Kulturgüter in gleichem Masse. Die Durchführung einer Notfallplanung, bestehend aus einer Feuerwehreinsatzplanung und einer KGS-Einsatzplanung, und die Schaffung einer Notfallstruktur sind ein überschaubarer Aufwand für die Eigentümerschaft, um den Schutz bei Ereignisfällen sicherzustellen.

Für diese Aufgabe wurde eigens der Leitfaden «Kulturgüterschutz im Fürstentum Liechtenstein» geschaffen. Dieser besteht aus drei aufeinander aufbauenden Teilen:

Vor Beginn der Erstellung einer Notfallplanung empfiehlt sich die Kontaktaufnahme mit dem KGS-Verantwortlichen der jeweiligen Gemeinde und dem FBKGS. Dabei werden Rahmenbedingungen und der notwendige Arbeitsumfang festgelegt. Eine Sicherheitsanalyse ist die Grundlage für die Feuerwehreinsatzplanung, die KGS-Einsatzplanung und die Notfallstruktur, die anhand der Leitfäden erstellt wird. Nach werden diese Dokumente dem FBKGS vorgestellt und abgegeben. Nach der Überprüfung der Vollständigkeit und Machbarkeit wird der fertige Notfallplan der zuständigen Feuerwehr und dem KGS-Verantwortlichen der Gemeinde vorgestellt.

Eine Notfallplanung besteht aus Einsatzplänen und erfolgt auf Grundlage einer Sicherheitsanalyse | © Amt für Kultur Eine Notfallplanung besteht aus Einsatzplänen und erfolgt auf Grundlage einer Sicherheitsanalyse. (Foto: Amt für Kultur)

Weitere Schutzmassnahmen

Nebst der personellen Organisation des Kulturgüterschutzes auf allen Stufen von Land und Gemeinden sowie in allen Kulturgutinstitutionen, dem Betrieb eines Kulturgüterschutzverbundes und den Notfallplanungen für Kulturgüter werden weitere konkrete Schutzmassnahmen bereits in Friedenszeiten bzw. in «Normalzeiten» (d.h. vor Eintreten eines eigentlichen Schadensereignisses) vorbereitet.

  • Kennzeichnungen mit dem «Blue Shield» ermöglichen neben dem Hinweis auf die Bedeutung des Kulturguts auch eine Bewusstseinsbildung in der Gesellschaft.
  • Verzeichnisse erlauben, die Gesamtheit der unbeweglichen und beweglichen Kulturgüter zu erfassen.
  • Sicherstellungsdokumentationen ermöglichen die Restaurierung und den Wiederaufbau von beschädigtem oder zerstörtem Kulturgut. Sie bilden im schlimmsten Fall des totalen Verlustes zumindest einen wissenschaftlichen Nekrolog.
  • Schutzräume für Kulturgüter werden bereits heute für die Lagerung von wichtigem Kulturgut verwendet. Der Ausbau dieser Kapazitäten ist ein mittel- und langfristiges Ziel.
  • Ausbildung befähigt die KGS-Verantwortlichen, angemessene Schutzmassnahmen zu ergreifen oder anzuordnen.
Kulturdenkmal des Fürstentum Liechtensteins mit Blue Shield | © Amt für Kultur Kulturdenkmal des Fürstentum Liechtensteins mit Blue Shield (Foto: Amt für Kultur)

Ausblick

Mit der Schaffung eines institutionalisierten KGS bewegt sich Liechtenstein auf Augenhöhe mit bereits im benachbarten und europäischen Ausland etablierten KGS-Organisationen. Das Land kann somit in bi- oder internationalen Kooperationen als Partner auftreten. Damit entsteht ein Know-how-Transfer, welcher sich in Ausbildung und gegenseitiger Notfallpartnerschaft zu einem multinationalen Sicherheitsnetzwerk für unsere Kulturgüter ausbauen lässt.